
JAHNZ E I T 20 AUSGAB E MAI 2022
Es war erstaunlich, wie du bis zum letzten Moment, bevor es
wirklich losgeht, denkst: Uns erwischt es nicht. Das war ein
naiver Gedanke. Erst wenn es um deinen eigenen Kopf geht,
realisierst du: Es ist wirklich da.
Kannst du den Moment beschreiben, als der Krieg dann
wirklich losging?
Wir haben monatelang immer wieder Rucksäcke vorbereitet,
falls wir flüchten müssen. Ich war mit meinem Pferd, mei-nem
Bruder und meiner Tante auf dem Feld. Auf einmal habe
ich Schüsse und eine schreiende Frau gehört. Ich habe ver-sucht,
die anderen zu alarmieren. Mein Vater war im ersten
Moment wütend und sagte, das sei kein Spiel. Bis er selbst
Schüsse gehört hat. Dann war Panik. Wir haben erst später
festgestellt, dass wir die vorbereiteten Rucksäcke gar nicht
mitgenommen hatten.
Fluchtinstinkt…
Genau. Wir sind einfach nur gerannt, gerannt, gerannt, um ir-gendwie
in Sicherheit zu kommen. Dann haben wir realisiert:
Es ist wirklich Krieg.
Hast du in diesem Moment schon realisiert, dass du gerade
deine Heimat, dein Zuhause verlierst?
Nein, darüber denkst du gar nicht nach. Es geht nur darum,
irgendwie zu überleben. Nach der Flucht waren wir drei Tage
ohne Wasser. Wir sind im Kreis durch die Wälder gerannt,
wurden gejagt. Da denkst du nicht an dein Haus, sondern
kämpfst um jeden Tropfen Wasser. Nach drei Tagen haben
wir im Wald eine Pfütze gefunden. Das Wasser war braun,
aber wir haben es alle getrunken.
Welches Gefühl hat man in diesem Mo-ment?
Angst?
Es ist nicht wirklich Angst. Es ist der
Überlebensinstinkt, den jeder Mensch
in sich hat. Die ersten Schüsse jagen
dir schon auch Angst rein. Aber nach
ein paar Monaten war es egal, ob eine
Granate 50 oder 100 Meter von dir ent-fernt
knallt, da habe ich nicht einmal
mehr gezuckt. Hauptsache, sie erwischt
dich nicht. Dafür ist es heute tatsächlich
noch so, dass ich bei einem Knall stark
zusammenzucke.
Wie kann man sich die Nächte im Krieg
vorstellen, wenn man einschläft und
nicht weiß was passiert?
Du bist oft so müde, dass du froh bist,
wenn du irgendwie einschlafen kannst,
wenn es nicht donnert und keine Gra-naten
gibt. In der Früh stehst du auf und
bist wie ein Vogel. Die kümmern sich
auch nicht um eine Woche, sondern
fliegen einfach los und suchen etwas
zu essen. Ohne großartig nachzudenken
oder zu planen, lebst du einfach von Tag
zu Tag.
Wie lange wart ihr auf der Flucht?
Ich kann sagen, dass ich den ganzen
Krieg über auf der Flucht war. Es ging los
im Juni 1992. Wir waren erst einmal drei
Tage im Wald, dann nochmal drei Tage
in einem Konvoi und dann zwei Monate
im Wald stationiert. Dann waren wir in
einer Stadt, haben diese nach ein paar
Monaten wieder verlassen müssen und
Foto: Köglmeier sind in Richtung Süden weitergezogen.