JAHNZ E I T 19 AUSGAB E MAI 2022
Im vergangenen Sommer warst du in Bosnien bei deinen
Eltern, dort wo ihr vor dem Krieg gelebt habt. Wie war es
dort?
Das stimmt, meine Eltern sind zurück auf dem Land, wo wir
vor dem Krieg waren. Wir haben dort einen kleinen Bauern-hof
eingerichtet. Sie haben nun auch Internet (lacht). Letzten
Sommer war ganz schlechtes Netz, das war für meine Kinder
etwas ganz Neues. Die ersten beiden Tage haben sie noch
probiert, Netz zu finden. Am dritten Tag haben sie es gar
nicht mehr versucht, sie haben sich schnell daran gewöhnt.
Wenn du in der Früh aufstehst und nichts hörst außer einem
Fluss und Vogelgezwitscher, dann merkt man auch, dass wir
sehr belastet sind mit dem alltäglichen Tun und dem Stress.
So viel Spaß der Job macht, du brauchst auch ein paar Tage,
an denen du runterfahren kannst. Jetzt habe ich auch einen
Ort gefunden, an dem ich in nur einer Woche meine Akkus
wieder voll aufladen kann.
Du bist seit fast 16 Jahren hier in Regensburg. Was bedeu-tet
dir die Region inzwischen?
Ich war niemals so lange an einem Ort wie hier, meine beiden
Kinder sind hier geboren, ich habe hier meinen Job, meine
Freunde. Ich habe mich damals, als ich noch gar nicht wusste,
was ich nach meiner aktiven Karriere machen würde, ent-schieden,
in Regensburg zu bleiben. Hier passt alles für mich,
meine Familie fühlt sich hier wohl. Ich traue mir zu sagen,
dass das meine Heimat ist. Egal wie mein Lebensverlauf sein
wird, Regensburg wird der Lebensmittelpunkt von mir und
meiner Familie bleiben.
In seiner Kindheit hat Mersad Selimbegovic schlimme Jahre
erlebt. 1992 stand der Krieg plötzlich vor der Türe und nahm
ihm sein Zuhause. Drei Jahre lang hatte er kein festes Zuhau-se
mehr. Mit gerade einmal 10 Jahren musste Selimbegovic
schnell erwachsen werden und für seine Familie sorgen. Eine
Zeit, die ihn nachhaltig geprägt hat…
Inwieweit prägen dich die Erfahrungen aus deiner Kind-heit,
aus dem Krieg, noch heute?
Die Person, die ich heute bin, ist komplett von diesem Le-bensabschnitt
geprägt, meine Persönlichkeit wurde dort ge-formt.
Ich weiß nicht, ob ich der gleiche Mensch wäre, wenn
ich das nicht erlebt hätte. Ich habe viele Lehren daraus gezo-gen.
Wenn man aus dem Krieg etwas Positives ziehen kann,
dann, dass ich weiß, was wirklich wichtig ist im Leben. Ich
weiß, was wirkliche Gefahr und wirkliche Probleme sind. In
Corona-Zeiten war für viele das größte Problem, wann und
wohin sie in den Urlaub reisen können. Das ist Wohlstand
pur. Das zeigt, dass wir in einem Land leben, in dem es den
Leuten sehr, sehr gut geht. Und viele gar nicht wissen, wie
gut es ihnen wirklich geht.
Welche Charaktereigenschaften sind in der Kriegszeit spe-ziell
geprägt worden?
Meine Disziplin kommt sicher davon, auch der Ehrgeiz wei-terzukommen.
Ich habe lange darum gekämpft, zu überle-ben,
mich vor Schüssen und Granaten zu schützen, der Hun-gernot
zu entkommen. Eine ganz wichtige Eigenschaft ist,
mit Leuten etwas zu teilen und zu helfen. Das war im Krieg
enorm wichtig. Ich habe gesehen, wie viele Leute bereit sind,
ihr eigenes Leben zu riskieren für jemanden, der schon ver-wundet
ist. Das ist eine wichtige Eigenschaft, die ich oft ver-misse.
Man sieht, wenn auf der Straße etwas passiert, dass
viele Menschen einfach vorbeigehen statt zu helfen.
Wir erleben nun leider auch in Europa Krieg. Wann hast du
den Krieg in der Ukraine erstmals wahrgenommen?
Ich glaube schon bevor er begonnen hat. Ich habe zu vielen
Leuten in meinem Umfeld gesagt, dass es krachen wird. Ich
hatte es intuitiv in mir drin. Die Situation hat mich an die vor
30 Jahren in Bosnien erinnert, die Herangehensweise war
ähnlich wie damals bei uns. Ich wusste, die Diplomatie ist
nur Show.
Wann hast du vor 30 Jahren erstmals realisiert: Jetzt ist der
Krieg da?
Wir haben gesehen, dass es in Kroatien war und langsam
nach Bosnien kam. Wir hatten lange keinen Strom und konn-ten
nichts verfolgen, aber die Flüchtlinge kamen bei uns an.