JAHNZ E I T 17 AUSGAB E MAI 2022
Komplett abstreifen kannst du das nicht. Es ist nicht immer
einfach, aber ich glaube schon, dass ich ziemlich druckre-sistent
bin. Damit kann ich gut umgehen, denn ich habe im
Leben Dinge erlebt, die viel schlimmer sind als eine Ergeb-niskrise
oder eine Niederlage in der 2. Bundesliga. Ich habe
zudem meine Familie, die mir viel Kraft gibt, und auch meine
klaren Prinzipien, wie ich damit umgehe.
Welche Prinzipien sind das denn?
Das erste ist: Ich lese nichts über mich und den SSV Jahn. Das
ist für jeden Trainer ganz wichtig, glaube ich. Das hat nichts
damit zu tun, dass ich keinen Respekt vor den Leuten habe,
die die Artikel schreiben. Aber ich weiß, was geschrieben wird,
wenn wir gewinnen und ich weiß, was geschrieben wird, wenn
wir verlieren. Der zweite Punkt ist: Ich glaube fest daran, dass
du dich ohne Probleme nicht entwickeln kannst. Ich sehe Pro-bleme
also als Begleiter auf dem Weg, sich weiterzuentwi-ckeln.
Im Leben kannst du dich nicht weiterentwickeln, wenn
du keine Probleme hast. Und wenn ich mich zum lieben Gott
wende, bitte ich um mehr Kraft und nicht um weniger Proble-me.
Probleme werden kommen, die Frage ist nur, ob du daran
scheiterst, oder ob es dich stärker macht. Das dritte Prinzip:
Morgens und abends gehe ich immer für mich durch, was ich
aktuell im Leben habe und was um mich herum in der Welt
passiert. Dann kann ich sagen, wenn ich mich abends hinlege:
Ich muss mir keinen Kopf um die Sicherheit meiner Kinder
machen, wir sind alle gesund, wir haben am nächsten Tag zu
essen. Es gibt also keinen Grund, schlecht gelaunt ins Bett zu
gehen oder aufzustehen. Wir müssen immer sehen, wie vie-le
Leute es gibt, die wirkliche Probleme haben. Dann sehen
wir, dass unsere Probleme Luxusprobleme sind. Auch Luxus-probleme
können einen runterziehen, aber jeder Tag, den du
nicht genießt und versucht, das Beste aus der Situation zu
machen, ist ein verlorener Tag. Und dann ist noch meine Fa-milie
da, und meine Nebentätigkeit im Garten (lacht), die mir
helfen, runterzukommen und zu entspannen. Ein letzter Punkt
ist auch noch, dass ich in einer Stiftung sehr aktiv bin. Es hilft
mir, anderen Leuten zu helfen und dann zu sehen, wie diese
sich wiederum über Kleinigkeiten freuen. Das gibt mir Energie.
Mersad Selimbegovic holt sein Handy heraus und zeigt stolz
Bilder von Leuten aus Sarajevo, die er unterstützt hat. Darauf
ist zum Beispiel eine Essenslieferung zu sehen oder auch ein
Bild einer Familie mit einer Kuh. „Was es für sie bedeutet, je-den
Tag Milch zu haben, ist ganz groß. Diese Kuh ist jetzt deren
Lebensmittelpunkt, das ist unbeschreiblich und macht mich
glücklich. Du hast etwas Gutes gemacht, das gibt jedem Kraft.“
Würdest du sagen, dass du ein durchweg positiver Mensch
bist?
Es gibt Phasen, in denen ich auch mal wütend bin. Aber ich
versuche, immer positiv zu sein.
Was bringt dich so richtig auf die Palme?
Ungerechtigkeit. Oder im beruflichen Kontext Unpünktlichkeit
und keine Seriosität. Das sind Punkte, da kann ich sauer werden.
„Wir müssen immer
sehen, wie viele Leu-te
es gibt, die wirkli-che
Probleme haben.
Dann sehen wir, dass
unsere Probleme
Luxusprobleme sind.“
Aber immer nur kurz. Sonst versuche ich oft zu lachen, auch
wenn man das bei den Spielen vielleicht nicht immer denkt.
Aber auf dem Platz bin ich in einem anderen Modus (lacht).
Was sind für dich die wichtigsten Werte im Leben?
Das ist eigentlich ganz einfach: Tue nie einem anderen et-was,
was du nicht willst, das dir getan wird. Wenn das jeder
verinnerlichen würde, wäre vieles einfacher. So versuche
ich auch meine Kinder zu erziehen. Das ist meine „Haupt-
Coachingzone“, da versuche ich auch taktisch vorzugehen
(schmunzelt). Ich finde Kinder zu erziehen ist mit die größte
Herausforderung.
Was ist denn schwieriger: Die Taktik für die Kindererzie-hung
oder für ein Fußballspiel zu machen?
Taktik in der Erziehung (lacht). Beim Fußballspiel bewegst du
dich in einem Rahmen, du weißt, was du willst und was deine
Mannschaft kann. Meine Kinder überraschen mich aber im-mer
wieder sowas von neu, dass ich immer wieder über eine
komplette Taktikumstellung nachdenken muss (lacht).
Was willst du deinen Kindern mitgeben?
Das Allerwichtigste ist, dass sie alles und alle anderen respek-tieren.
Wenn du Respekt haben willst, muss du beginnen, al-les
andere auch zu respektieren. Ich will, dass es nicht nur um
Materielles geht, dass sie lernen, dass man sich im Leben alles
erarbeiten muss. Dass es nicht so einfach ist, wie es die sozia-len
Medien oft vorgaukeln, dass man sehr schnell sehr viel er-reichen
kann. Das ist, glaube ich, das Wichtigste für die heutige
Jugend, zu verstehen, dass man arbeiten und investieren muss,
um etwas zu schaffen und dass man nicht im „Chill-Modus“,
wie mein Kleiner sagt, ganz weit kommt. Es ist wichtig, dass sie
das, was sie haben, schätzen, und nicht nach etwas sehnsüch-tig
sind, das nicht wichtig ist. Und ich versuche auch, sie schon
mitzunehmen dabei, Leuten zu helfen. Wenn ich zum Beispiel
mit meiner Stiftung eine Aktion habe, zeige ich ihnen das und
frage, ob sie fünf Euro von ihrem Taschengeld spenden wollen.
Sie sollen lernen, dass Geben das größte Glück ist, das man