JAHNZ E I T 16 AUSGAB E NOVEMB E R 2021
Was waren die wichtigsten ersten Schritte zum SSV Jahn
von heute?
Ich wusste: Als erstes brauchen wir eine Identität, denn eine
solche hatte der Jahn nicht. Der Jahn hatte eine große Tradi-tion
in Ostbayern, auch wenn diese ab den 70er Jahren stark
gelitten hatte. Aber eine definierte Identität gab es nicht.
Wohin wir wollen und wofür wir stehen wollen, war nicht
klar. Parallel dazu war klar, wir müssen uns sanieren. Wir
hatten damals eine Liquiditätsunterdeckung von fast 50 Pro-zent.
Da war klar, dass es nicht funktionieren kann. Wir hat-ten
um die 4,5 Mio. Euro Aufwand und 3 Mio. Euro Umsatz.
Wir hatten dabei aber kein Aufwandsproblem, der Wettbe-werb
gab im Schnitt viel mehr aus als wir. Aber die anderen
Clubs hatten auch viel mehr erlöst. Mir war klar, wir können
im ersten Schritt den Ertrag nicht steigern, denn wir hatten
kein hinreichendes Vermarktungsumfeld beziehungsweise
keine Vermarktungsattraktivität. Also mussten wir noch we-niger
ausgeben, als wir ohnehin schon ausgegeben haben.
Auf Neudeutsch also „Costcutting“, auch wenn es fast nichts
mehr zu reduzieren gab. Ich hatte auch andere Schritte im
Kopf, ab wann zum Beispiel Infrastrukturmaßnahmen dazu
kommen. Aber alles hing natürlich auch wiederum daran, wie
es sich auf dem Platz entwickelt. Natürlich war es auch mein
Job, gute Ergebnisse auf dem Platz durch Planung und Füh-rung
zu ermöglichen, aber am Ende hat man es planerisch
nicht in der Hand, ob man ein Relegations-Rückspiel 2:0
gewinnt oder verliert. Das sind Situationen in einer Gesamt-entwicklung,
in denen du das Momentum auf deiner Seite
brauchst. Ich bin zwar davon überzeugt, dass es kein Glück
war und dass wir uns das Momentum mit Engagement und
Herzblut erarbeitet haben. Aber trotzdem mag dich das Fuß-ballspiel
in solchen Momenten ein bisschen, denn es könnte
genauso in eine andere Richtung laufen. Ich bin deshalb sehr
dankbar, dass wir zu den richtigen Zeitpunkten das erforder-liche
Momentum hatten.
Überlegst du manchmal, wo der Jahn heute stehen würde,
wenn das Relegationsspiel 2016 gegen den VfL Wolfsburg
II nicht gewonnen worden wäre?
Ich weiß, dass das Rückspiel gegen Wolfsburg das Spiel war,
bei dem ich am angespanntesten während meiner gesam-ten
Zeit beim SSV Jahn war. Weil ich wusste, dass an diesem
Spiel sehr, sehr vieles hängt. Einerseits gilt: Es ist nie vor-bei.
Denn auch das ist eine Form von Ambition, dass man
immer weitermacht, egal was passiert. Andererseits war klar:
Wären wir damals nicht aufgestiegen, wäre die Entwicklung
natürlich nicht so kometenhaft und so schnell gegangen. Die
Aufstiegsfeier, da kann ich mich noch gut erinnern, war die
schlimmste Feier, auf der ich jemals war. Es konnte keiner
mehr, alle waren leer. Es war einfach so anstrengend, es ist
von allen Druck abgefallen. Markus Palionis saß nach dem
Spiel eine halbe Stunde in den Katakomben und hat nur ge-heult.
So in etwa war dann auch die Aufstiegsfeier.
Zum Zeitfenster: Sind diese über achteinhalb Jahre der
Zeitraum, den du dir damals für diese Entwicklung auch
vorgestellt hattest?
Nein. Wenn ich ehrlich bin, habe ich schon gedacht, dass wir
ein paar Sachen schneller hinkriegen. Aber wo der Plan zu
100 Prozent funktioniert hat, weil es da einfach weniger Un-wägbarkeiten
gab, ist von Weihnachten 2019 bis heute. Da
hatte ich mir genau vorgenommen, was ich noch erledigen
möchte. Als Beispiele die Fertigstellung des Funktionsge-bäudes
oder sportlich auch einen stabilen Kader für diese
Saison. Bei der Kaderplanung muss man als Jahn längerfristig
denken. Denn wir kaufen uns den Kader ja nicht ein, sondern
müssen ihn strategisch planen.
Du hast öffentlich sehr kurzfristig bekannt gegeben, dass
du den Jahn verlässt, hast 2019 bewusst deine Vertragslän-ge
nicht kommuniziert. Warum dieses Vorgehen?
Meine Absicht hinter diesem Geheimhaltungsimpuls war,
dass ich wollte, dass wir in Ruhe arbeiten können. Im zweiten
Halbjahr 2019 war es ein permanentes Thema, ob ich mei-nen
Vertrag verlängere. Damals wurde wild spekuliert, dass
ich ganz sicher nicht mehr verlängern würde, denn ich müss-te
jetzt den nächsten Schritt gehen. Ich denke aber nicht in
nächsten Schritten. Damals war es nicht förderlich für die
Arbeitsatmosphäre im Innenverhältnis, weil mich ständig
auch Mitarbeiter auf das Thema angesprochen haben, und
auch nicht für die Arbeitsproduktivität nach außen. Gerade
im Sponsorenkreis war meine Vertragssituation omnipräsent
und mitunter wurden daran Vertragsverlängerungen ge-knüpft.
Das ist natürlich nicht richtig. Deshalb wollte ich, dass
wir in Ruhe arbeiten können, um die Ziele, die noch auf mei-ner
Agenda standen, bestmöglich im Sinne des Jahn erfüllen
zu können. Das geht mit Ruhe deutlich besser. Und dann kam
ja noch die Pandemie dazu. Wenn wir in dieser Krisenzeit
auch noch personelle Instabilität gehabt hätten, dann hätten
wir die Pandemie nie so gut managen können. Am Schluss ist
dieser Plan exakt aufgegangen. Der SSV Jahn steht heute auf
allen Ebenen so gut da, wie noch nie. Insofern also lieber ein
schneller, vielleicht dann kurz auch schmerzhafter Abschied,
aber dafür im Sinne des Clubs mit einem eindeutigen Weiter
so beziehungsweise mit einer exzellenten Zukunftsaussicht.
Sichtwort Weiter so. Laut Hans Rothammer würde ein Wei-ter
so mit nur einem Geschäftsführer einer Skaverei ähneln.
Hast du dich in den vergangenen Jahren „versklavt“ gefühlt?
(lacht) Nein. Das hat Hans umschrieben und wollte damit
sagen, dass meine Arbeitstage im Regelfall sehr, sehr lange
waren und meine Woche meistens eher sieben statt fünf
Arbeitstage hatte. Ich habe aber jede Minute beim SSV Jahn
sehr gerne gearbeitet, habe mich nicht „versklavt“ gefühlt,
sondern hatte immer Freude und Begeisterung an der Auf-gabe.
Richtig ist aber schon, und das ist neben den erfüll-ten
Jahn Zielen noch ein persönlicher Beweggrund, dass ich
schon auch sage: Irgendwann brauche ich auch mal ein biss-chen
Pause. In achteinhalb Jahren habe ich nur einmal eine
Woche Urlaub gemacht.
Du hast auch schon durchklingen lassen, dass eine Zwei-geschäftsführerlösung
mit dir schwierig gewesen wäre.
Warum?