JAHNZ E I T 13 AUSGAB E OK TOB E R 2021
2019 wechselte Erik Wekesser (24) aus der Regionalliga
zum SSV Jahn. Hier wurde der ehemalige Junioren-Natio-nalspieler
vom Offensivspieler zum Linksverteidiger um-geschult
und hat sich zu einem Leistungsträger der Jahnelf
entwickelt. Die Geschichte eines Mannheimer Jungen, der
in Regensburg aufblüht.
Der Ball liegt ruhig da, Erik Wekesser steht direkt daneben.
Es sind etwas über 20 Meter bis zum Tor, halbrechte Posi-tion.
Wekesser geht ein paar Schritte rückwärts, dann zieht
er die Schultern nach oben und pustet einmal kräftig durch.
Mit zunächst langsamen Trippelschritten und später größer
werdenden Schritten läuft er zum Ball, tritt ihn mit seinem
linken Fuß und er schlägt unhaltbar oben rechts im Winkel
des Nürnberger Tores ein. Es ist der Treffer zum 2:1 für den
SSV Jahn im bayerischen Duell mit dem 1. FC Nürnberg, am
Ende steht es 2:2.
„Da steckte viel Überzeugung drin“, blickt Erik Wekesser we-nige
Wochen später auf das Tor zurück. „Ich bin selbstbewusst
hingegangen und wollte den Ball einfach reinhauen.“ Beim Ju-bel
lief Wekesser in Richtung Trainerbank und zeigte mit dem
Finger hin. Der Finger war an Jahn Chef-Trainer Mersad Selim-begovic
gerichtet, wie der 24-Jährige verrät: „Mersad hat noch
vor dem Spiel gesagt, dass, seit er Chef-Trainer ist, noch kein
Freistoß direkt verwandelt wurde. Dass es ausgerechnet in
diesem Spiel dann klappt, war eine coole Geschichte.“ Selim-begovic
habe nach dem Spiel zu ihm gesagt: „Ich wusste gar
nicht, dass ich es euch erst sagen muss, damit ihr es macht.“
Freistöße mag Wekesser. „Ich habe mir schon immer gerne
die Freistöße genommen, habe schon in der Jugend viel da-ran
gearbeitet und versucht, im Training möglichst viel zu
schießen.“ Das mache er auch heute noch – mit dem Ziel,
dass die Freistöße noch besser und vor allem konstanter wer-den.
Früher hat sich Wekesser dazu auch gerne Youtube-Vi-deos
anderer Fußballer angeschaut. Vor- und zurückgespielt.
Wie läuft der Spieler an, wo trifft er den Ball? Von Ronaldo
zum Beispiel. „Diese Gier, die er an den Tag legt, wie ehrgei-zig
er arbeitet, da ist er für jeden Fußballer ein Vorbild“, sagt
er über den Portugiesen. Aber auch von Juninho oder Hakan
Calhanoglu, der wie Wekesser in Mannheim aufgewachsen
ist, hat er sich etwas abgeschaut.
Zum Linksverteidiger umgeschult
Als Wekesser 2019 nach Regensburg wechselte, versprach
Selimbegovic einen „linken Huf“ für den Jahn. Dass er die-sen
nun wieder einmal zeigen konnte, freut Wekesser. Tore
zu schießen ist inzwischen aber nicht mehr seine Hauptauf-gabe.
Verpflichtet als Offensivspieler, wurde Wekesser nach
seinem ersten Jahr in Regensburg zum Linksverteidiger um-geschult.
Wobei das nur teilweise stimmt, denn bis zur U17
war Wekesser bereits als Verteidiger aktiv, vor allem innen,
aber zum Teil auch außen. Ganz neu war diese Position für
ihn somit also nicht.
Mersad Selimbegovic erinnert sich an die Kaderplanungs-sitzung
vor der Saison 2020/21. Chima Okoroji hatte in der
Saison zuvor alle Spiele links hinten bestritten, die Leihe ging
aber zu Ende. Jan-Niklas Beste kam neu zur Jahnelf, es brauch-te
aber auch einen zusätzlichen Linksverteidiger. Hier gab es
bereits die ersten Gedankenspiele, Wekesser umzufunktio-nieren.
Als sich Beste dann gleich im ersten Training verletzte,
wurden die Gedankenspiele schneller Realität als dem Trainer
lieb war. Im Training und in den Testspielen wurde Wekesser
hinten links aufgestellt. „Und offenbar habe ich meine Sache
nicht so schlecht gemacht, wenn ich immer noch dort spiele“,
sagt Wekesser und lacht. Am Ende war es quasi ein Positions-tausch,
wenn man so will, denn Beste wird seit dieser Saison
vor allem auf der offensiven Außenbahn eingesetzt.
„Jeden Stürmer, den du woanders aufstellst, musst du da-von
überzeugen“, blickt Mersad Selimbegovic auf den Um-stellungsprozess
zurück. Im Training und in den Testspielen
habe Wekesser aber schnell gemerkt, dass die Position zu
ihm passt. „Ich bin froh, dass wir damals mutig waren und das
ausprobiert haben“, sagt der Trainer. „Das liegt aber immer
auch am Spieler. Erik war offen dafür. Dass er bereit war, das
mitzumachen, zeigt, wie er sich als Person entwickelt hat.“
Das ist, neben den sportlichen Qualitäten, der Faktor, den Se-limbegovic
am meisten heraushebt. „Es ist beeindruckend,
wie sich Erik entwickelt hat, vor allem als Persönlichkeit. Er
ist zu einem richtigen Führungsspieler bei uns geworden und
hat einen großen Sprung gemacht.“
Zum Leistungsträger entwickelt
Wekesser hat sich bei der Jahnelf zum Stammspieler und
Leistungsträger entwickelt. Nachdem er 2019 aus der Regio-nalliga
von Astoria Walldorf kam, musste er sich an das neue
Niveau noch gewöhnen. „Man kann nicht aus der Regionalliga
kommen und denken, dass man von null auf hundert gleich
Stammspieler wird in einer Zweitliga-Mannschaft“, blickt er
zurück. Aber schon in der ersten Saison kam er auf 30 Ein-sätze,
16 davon von Beginn an. „Da konnte ich mein Potenzial
immer wieder zeigen, aber noch nicht oft oder konstant ge-nug“,
schätzt Wekesser ein. Dass er sich durchsetzen würde,
daran hatte er keine Zweifel. Zweifel hat er auch nicht, dass er
es auch auf der offensiveren Position zum Stammspieler ge-schafft
hätte. „Ich war mir bewusst darüber, dass es ein biss-chen
dauern kann. Ich war aber der vollen Überzeugung, dass
ich in dieser Liga Fuß fassen kann, wenn ich Vollgas gebe und
versuche, mich jeden Tag weiterzuentwickeln.“
Für Wekesser war es 2019 der zweite Anlauf in den Profifuß-ball.
Im Nachwuchs spielte er viele Jahre für den 1. FC Kai-serslautern,
wurde dort zum Junioren-Nationalspieler und
trainierte mit den Profis, die damals noch in der 2. Bundes-liga
spielten. Da war Wekesser gerade einmal 17. „Jung und
in manchen Dingen naiv“ sei er gewesen, sagt er heute. „Ich
möchte aber gar nichts missen oder schlechtreden an dieser
Zeit. Ich habe für mich Lehren gezogen, habe daraus gelernt
und das Kapitel abgehakt.“ Den Sprung zu den Profis schafft
er nicht. 2017 geht er zunächst für ein halbes Jahr zur TuS
Koblenz, dann zieht er weiter zu Astoria Walldorf. Dort, nur
20 Autominuten von seiner Heimat entfernt, blüht er auf: 16
Tore in 32 Regionalligaspielen.