< PreviousSteve Breitkreuz hat in seinem Leben schon einige Rückschläge hinnehmen müs- sen. Als er gerade am Übergang zum Herrenfußball stand, riss das Kreuzband. Statt aufzugeben entwickelte er eine Jetzt-erst-recht-Mentalität, stand auf und schaffte es zum Zweitligaprofi. Wie Steve Breitkreuz eine Resilienz entwickelte, wie er mit schwierigen Situationen umgeht und wie er zum Führungsspieler bei der Jahnelf wurde, erklärt er im ausführlichen Jahnzeit Interview. Nicht kaputt zu kriegen JAHNZEIT10AUSGABE OKTOBER 2022Steve Breitkreuz kommt zum Inter- view. Wie war das Training? „Ganz schön intensiv und anstrengend für diejenigen, die am Wochenende nicht gespielt haben“, sagt er. Es ist der erste Trainingstag der Länder- spielpause, der zweite Tag nach dem Heimsieg des SSV Jahn Regensburg gegen den FC St. Pauli. Wenn die Ersatzspieler im Training nach dem Spieltag richtig hart rangenommen werden, dann ist Steve Breitkreuz im Normalfall nicht dabei. Er macht dann wie die anderen Stammspieler etwas ruhiger, regeneriert nach dem Einsatz am Wochenende. Denn Steve Breitkreuz spielt immer. Also so gut wie. Wenn er nicht gerade verletzt, krank oder gesperrt ist. Letzteres war gegen den FC St. Pauli der Fall. In der Woche zuvor, auswärts beim Spitzenreiter SC Paderborn, hatte Breitkreuz in der zweiten Halbzeit die Rote Karte gesehen. Dass der Vi- deoassistent die Szene korrigierte, nachdem der Verteidiger zunächst Gelb gesehen hatte, verstand Breit- kreuz nicht. Denn aus seiner Sicht bewegte sich der Stürmer weg vom Tor, also war es keine klare Notbremse. Die Sperre gab es natürlich trotzdem. Neben dem Spiel gegen St. Pauli durfte Breitkreuz auch im ersten Spiel nach der Länderspiel- pause auswärts beim FC Magdeburg nicht ran. Jahnzeit: Steve, wie blickst du auf die Rote Karte zurück? Steve Breitkreuz: Im Spiel habe ich es überhaupt nicht ver- standen. Auch danach beim Anschauen der Bilder nicht. Des- halb ist es ärgerlich, wenn du durch diese Situation das Spiel endgültig aus der Hand gibst. Wie lange beschäftigt dich so etwas noch? Es ist im Grunde wie bei einer Niederlage. Ein, zwei Tage hat man schon noch daran zu knabbern, dann ist die Sache aber auch gegessen. Es half auch, dass es für mich keine rote Karte war. Es war ärgerlich, aber es war nicht so, dass ich absicht- lich jemanden getreten oder eine Dummheit begangen habe. Sonst hätte ich mich noch länger darüber geärgert. Es ist eine Sache von Sekunden und ich habe in dem Moment die fal- sche Entscheidung getroffen. Gehen wir weg von der Situation und dem Platzverweis. Wie gehst du als Typ allgemein mit Rückschlägen um? Ich beschäftige mich schon viel damit. Ich bin als Typ viel- leicht auch ein bisschen zu reflektiert, suche meistens die Schuld als erstes bei mir selbst. Ich hebe jeden Stein hoch und schaue, was man verändern und verbessern kann. Ande- rerseits habe ich auch schon andere Rückschläge erlebt und zwar in anderen Ausmaßen, die auch längerfristige Folgen hatten. Diese Zeiten habe ich auch gut gemeistert und man entwickelt mit der Zeit und durch solche Phasen auch eine gewisse Resilienz. Man verlässt sehr schnell die Opferrolle und geht über in eine Jetzt-erst-recht-Mentalität. Ich musste früh lernen mit Rückschlägen umzugehen und würde sagen, dass ich ganz gut im Nehmen bin. Steve Breitkreuz wuchs in Berlin auf. Im Alter von 14 Jahren landete der talentierte Kicker im Nachwuchs von Hertha BSC und durchlief dort alle Jugendmannschaften bis zur U23. Wie viele andere Spieler in Nachwuchsleistungszentren hat- te auch Breitkreuz einen großen Traum: Fußballprofiwerden. Dann kam der Mai 2010, Breitkreuz riss sich das Kreuzband. Er war gerade 18 Jahre alt. „Für mich ist eine Welt zusammen- gebrochen“, blickt er auf diese Zeit zurück. Es ist die Phase, in Foto: Köglmeier „Ich musste früh ler- nen mit Rückschlägen umzugehen und würde sagen, dass ich ganz gut im Nehmen bin.“ 12JAHNZEITAUSGABE OKTOBER 2022Das heißt, du hast dich irgendwann nicht mehr nur über den Fußball definiert? Genau. Das würde ich auch jedem jungen Spieler empfehlen. Es kann alles so schnell gehen im Sport, das ist keine Kons- tante im Leben. Es kann von einem Tag auf den anderen eine Verletzung kommen oder ein Trainer, der nicht auf dich setzt. Daran können auch einige kaputtgehen. In meinem Jahrgang hatten wir tatsächlich acht Spieler mit einem Kreuzbandriss und fast alle hatten dadurch einen richtigen Karriereknick und haben sich nicht so aufgerappelt wie ich. Nach einem guten Saisonstart hatte in dieser Saison auch die Jahnelf in dieser Spielzeit eine schwierige Phase zu meistern. Sechs Spiele ohne Sieg und ohne Tor. Breitkreuz ist dabei einer der Führungsspieler in der Mannschaft, ist seit dieser Saison auch im Mannschaftsrat des Teams. Wie versuchst du in einer solchen Phase einzuwirken als Führungsspieler und Mitglied des Mannschafsrates? Ich habe solche Phasen schon des Öfteren erlebt, in Aue war das nicht anders. Nachdem wir im letzten Jahr zu Beginn die ersten Spiele gewonnen hatten, habe ich zu Konni Faber ge- sagt, dass ich auch schon Phasen erlebt habe, in denen man monatelang nicht gewinnt. Mit den Siegen hat sich alles so einfach angefühlt. Die Realität in der 2. Liga bedeutet aber, dass du hart arbeiten musst, dass du das Glück erzwingen musst und teilweise auch das Glück einfach brauchst. Eine sol- che Phase wurmt einen natürlich und man ist selbst unzufrie- den, ich versuche aber dennoch, nicht den Kopf zu verlieren. Foto: Köglmeier der sich bei den meisten Spielern entscheidet, ob sie es zum Profischaffen oder nicht. „In dieser Phase schwimmen noch viele Talente im Becken, die Durchlässigkeit nach oben ist aber sehr gering. Da können einzelne Spiele darüber entschei- den, ob du es nach ganz oben schaffst oder nicht.“ Und Breit- kreuz war mit der schweren Verletzung für viele Monate weg. Es war eine Phase, in der viele ihren Traum vom Fußballprofiver- mutlich begraben hätten. Ohnehin ist es laut Breitkreuz so, dass es in Berlin viele sehr talentierte Fußballer gibt. Aber nicht viele würden es nach oben schaffen. Die Verlockungen der Großstadt würden einen erheblichen Teil dazu beitragen. „In Berlin kannst du, wenn du möchtest, jeden Tag feiern gehen“, sagt Breitkreuz. Da müsse man als junger Erwachsener erst einmal Nein sagen können, wenn die Freunde regelmäßig unterwegs sind. Wie hast du es in dieser Zeit geschafft dranzubleiben? Ich musste den langen, steinigen Weg nehmen und mich zu- rückkämpfen. Kurz nach meinem ersten Kreuzbandriss habe ich mir einen zweiten zugezogen und habe fast zwei Jahre keinen Fußball gespielt. Später, als ich schon in Aue gespielt habe, war ich nochmal lange draußen wegen meinem Knie. Man lernt durch solche Phasen extrem viel dazu und kann auch die Perspektive ändern. Man ist nicht nur in der Blase Fußball gefangen mit dem Fokus von Wochenende zu Wo- chenende. Man schafft es in so einer Phase, den Weitwin- kel zu bekommen. Insofern kann ich, um nochmals auf den Beginn zurück zu kommen, sagen, dass ich lieber eine Rote Karte sehe als wieder verletzt zu sein. Wann hast du es geschafft, diesen Blick zu öffnen? Nach so einer schweren Verletzung sind die ersten Wochen nach der Diagnose richtig hart. Nach meiner ersten Verletzung musste ich auch erst einmal vier Wochen trainieren, um die Schwellung aus dem Knie zu bekommen und überhaupt operiert werden zu können. Da war es echt schwer. Ich habe mich eingesperrt und wollte eigentlich mit niemandem etwas zu tun haben. Durch die Schu- le hatte ich noch ein bisschen Ab- lenkung durch Mitschüler, die nicht zwingend mit dem Fußball zu tun hatten. Aber für einen Jugendlichen, der alle Hoffnungen darauf setzt, sich den Traum vom Profifußball zu erfül- len und seine Identität auch ein Stück weit im Fußball gesehen hat, war es richtig schwer zu lernen, dass man nicht nur aus Fußball besteht. Die guten Freunde mögen dich trotzdem noch und wie du als Mensch bist, ist nicht abhängig von deinen Leistun- gen auf dem Fußballplatz. 13JAHNZEITAUSGABE OKTOBER 2022Kann man Punkte, die du in persönlich schwierigen Phasen gelernt hast, auch auf schwierige Phasen mit dem Team an- wenden? Durchaus. Zum Beispiel, dass man sein Selbstvertrauen nicht nur aus Ergebnissen zieht. Man sollte sich viel mehr auf sei- ne täglichen Aufgaben fokussieren, denn das kannst du be- einflussen. Wir haben einen Tag in der Woche ein Spiel und sechs andere Tage, an denen wir uns vorbereiten können. Und diese Tage sind es, an denen man am meisten beein- flussen kann. Hier sollte man sich auf seine Arbeit konzent- rieren und versuchen immer besser zu werden. Das ist meine Herangehensweise und so versuche ich auch im Team voran- zugehen. Gibst du diese Einstellung dann auch an die jungen Spieler weiter und nimmst dir mal einen von ihnen zur Seite? Wir bereiten die Spiele schon auch immer als Mannschaft nach. Da geht es nicht nur um das Fußballerische, sondern auch ums Mentale. Teilweise übernimmt das das Trainerteam schon, das ist inzwischen ja auch eine wichtige Aufgabe eines Trainers, psychologische Unterstützung zu geben. Da geht es darum, das Ziel im Auge zu behalten und ruhig zu bleiben. Aber natürlich quatschen auch wir Spieler unterei- nander. Mit Scotty habe ich zum Beispiel einen sehr engen Austausch. Da wir die gleiche Position spielen, kann man Situationen besser besprechen und nachvollziehen, wie sie der andere sieht. Machst du dir in schwierigen Phasen selbst Druck oder ge- lingt es dir durch diese Herangehensweise, den Druck von dir fernzuhalten? Teils teils. Das hilft schon, dass man sich auch in schwierigen Phasen Selbstvertrauen holen kann, weil man ja weiß, dass man sich gut vorbereitet, dass man gut arbeitet. Andererseits bin ich schon ambitioniert und ehrgeizig und mache mir schon selbst Druck, möglichst erfolgreich zu sein und gewin- nen zu wollen. Diesen Ehrgeiz kriegst du aus einem Sportler auch nicht raus. Das ist auch nicht nur im Spiel so, sondern auch im Trainingsspiel oder wenn wir zu Hause etwas spie- len. Da kannst du gerne mal meine Freundin fragen…(lacht) Im Sommer 2021 war Steve Breitkreuz auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Bis dahin hatte er im Profi- fußball erst zwei Vereine gehabt. Nach der Jugend in Ber- lin zog es ihn zu Erzgebirge Aue. Für die Erzgebirgler hat er vier Saisons gespielt, dazwischen war er eine Spielzeit für Eintracht Braunschweig im Einsatz. Beim Jahn ist Breit- kreuz schnell und gut angekommen. Er entwickelte sich zum Stammspieler in der Innenverteidigung und erarbeitete sich mit seinen guten Leistungen und seinem Auftreten große Anerkennung im Team und im Umfeld. Wie hat sich deine Rolle beim Jahn entwickelt seit du hier bist? Ich bin schon als gestandener Zweitliga-Spieler gekommen, der aber hier und da Verletzungsprobleme hatte. Ich bin niemand, der in den Raum geht und sagt: Ihr müsst mir jetzt alle zuhören und ich bin jetzt hier der Boss. Ich ordne mich im ersten Schritt unter und will mir durch Leistung auf dem Platz ein Standing erarbeiten und durch konstruktive Beiträ- ge auch eine Stimme innerhalb des Teams erkämpfen oder verdienen. Das war ein normaler Ablauf, dass man sich da hocharbeitet in der Rangordnung. Wenn man dann auf einer wichtigen Position wie der Innenverteidigung spielt, wo es gefordert ist, kommunikativ zu sein und den Mitspielern zu helfen, dann liegt mir das auch. In Aue hatte ich auch diese Rolle, nachdem ich länger dort war. Dazu kommt, dass ich die Abläufe beim Jahn inzwischen auch besser kenne und kann dadurch natürlich noch besser vorangehen. Personell hat sich im Sommer einiges getan, einige Spieler, die in den vergangenen Jahren zum Gerüst des Teams ge- hörten, gingen weg. Kannst du uns einen Einblick geben: Wie formiert sich ein neues Team, ein neues Gerüst? Die Jungs, die neu dazu kommen, haben alle erst einmal die gleichen Probleme. Umziehen, eingewöhnen, Wohnung fin- den, gleichzeitig aber auch im Team ankommen, ins Trainings- lager fahren und so weiter. Das ist erst einmal Stress, bis du wirklich angekommen bist. Wenn du dann noch aus einem anderen Spielsystem kommst und die Spielphilosophie hier lernen musst, dann ist das anfangs nicht so leicht. Deshalb war es vielleicht ganz gut, dass viele neu dazugekommen sind, weil sie die gleiche Herausforderung hatten und da- mit gegenüber den anderen gleich offener sind. Ansonsten ist es in unserer Mannschaft aber ohnehin nicht schwer sich Foto: Köglmeier 14JAHNZEITAUSGABE OKTOBER 2022schnell einzuleben. Mit Konni haben wir zum Beispiel jeman- den, der jedem sofort ins Herz springt (schmunzelt). Da gibt es schon viele gute Charaktere, die es einem umso leichter machen sich einzuleben. Wie schwer ist dir die Umstellung auf die Jahn Spielweise gefallen, als du neu nach Regensburg gekommen bist? Mir war schon bewusst, dass es etwas anderes sein wird, denn in Aue haben wir anders gespielt. Ich bin aber jemand, der sich so einen Schritt gut überlegt und entsprechend war ich sehr offen dafür. Durch so eine Veränderung kannst du dich weiterentwickeln, deinen eigenen Werkzeugkasten erweitern. Für mich ist es super gelaufen. Ich bin gesund und fit, habe viele Spiele gemacht. Dazu kam die super Hin- runde letzte Saison, da fällt es einem natürlich umso leich- ter, sich einzuleben. Was speziell war denn anders oder neu für dich als Innen- verteidiger? In Aue haben wir zwar versucht zu pressen, das hat aber nicht so gut funktioniert, deshalb sind wir des Öfteren auch tief gestanden in der Verteidigung. Mit Ball wollten wir eine Ballbesitzmannschaft sein. Das ist uns in der ersten Reihe auch oft ganz gut geglückt, unser Übergangsspiel nach vorne war dann aber nicht so gut, um sich in der gegnerischen Hälft festsetzen zu können. Es war eher ein Spielen mit dem Feuer in der eigenen Hälfte. Auch bei Hertha war es eher Ballbe- sitzfußball. Hier beim Jahn geht es vor allem um Intensität, um Schnelligkeit und ein schnelles Spiel nach vorne. Bist du den Schritt nach Regensburg also auch gegangen, um einfach mal etwas Neues zu sehen? Für mich war die Zeit gekommen für etwas Neues. Ich war mit einer kurzen Unterbrechung fünf Jahre in Aue. Das ist für die Fußballromantiker etwas Schönes, für einen Sportler kann es dadurch aber auch zu einer gewissen Komfortzone werden und Stagnation bedeuten, dass man sich nicht mehr weiter- entwickelt. Deshalb wusste ich, dass ich auf jeden Fall etwas Neues machen wollte. Mir wurde von Mersad Selimbegovic und damals noch Christian Keller klar aufgezeigt, was der Weg des Jahn ist, was sie in mir sehen. Das hat mich überzeugt. Kannst du deine Stärken aus dem Ballbesitzspiel nun auch hier einbringen, um das Spiel des Jahn noch facettenrei- cher zu machen? Ich versuche es. Das ist auch immer abhängig vom Gegner. Es gibt immer wieder Gegner, die sich hinten reinstellen und auf Konter lauern. Wenn du dann keine Möglichkeit hast lang zu spielen, brauchst du auch andere, spielerische Lösungen. Was dieses Rätsel angeht, war ich ein Puzzlestück, denke ich. Aber es gibt auch andere, die sich da einbringen. Es freut mich, wenn man sieht, dass sich etwas entwickelt hat. Wir können es aber noch besser machen, vor allem in der geg- nerischen Hälfte. Denn dort gibt es den Ballbesitz, der zählt. Aber wenn wir mit fünf Gegenspielern gepresst werden, dann habe ich auch nichts dagegen, das zu überspielen und schnell nach vorne zu spielen. Wenn du nicht in der Lage bist auch mutig von hinten herauszuspielen, machst du es dem Gegner zu einfach. Foto: Eisenhut/DFL „Ich will mir durch Leistung auf dem Platz ein Stan- ding erarbeiten und durch konstruktive Beiträge auch eine Stimme innerhalb des Teams erkämpfen.“ 15JAHNZEITAUSGABE OKTOBER 2022Wenn du einsatzfähig warst, hast du in deiner bisherigen Jahn Zeit immer gespielt. Hast du damit gerechnet, als du hierher gekommen bist? Ich habe mir schon gute Chancen ausgerechnet. Ich habe im letzten Jahr in Aue vor allem als Rechtsverteidiger gespielt und war überzeugt, dass ich noch mehr kann in der Mitte. Wir sind aber insgesamt gut aufgestellt auf der Position, das hat man zuletzt auch gegen St. Pauli gesehen, als ich nicht dabei war und wir zu Null gespielt haben. Unter uns vier Innenver- teidigern ist es auch so, dass wir einander alles gönnen. Als Steve Breitkreuz 2021 zum Jahn kam, hatte er schon eine lange Verletzungshistorie vorzuweisen. Auf dem Portal trans- fermarkt.de reicht eine Seite gar nicht mehr, um alle Ausfälle aufzuführen. Zwei Kreuzbandrisse zu seiner Hertha-Zeit, im- mer wieder Knieprobleme und weitere Verletzungen. Seit er beim Jahn ist, blieb er vom Verletzungspech verschont, nur zwei Spiele verpasste er aufgrund von einer Erkältung. Hörst du besser auf deinen Körper als früher? Man lernt durch die Verletzungen seinen Körper auf jeden Fall besser kennen. Ich weiß nicht, ob in unserer Mannschaft jemand mehr Reha-Einheiten hinter sich hat als ich. Da habe ich viel mitgenommen und mir gemerkt. Ich weiß, welche Bau- stellen wie bedient werden müssen, dann kann ich es teilweise auch selbst lösen. Wenn ich wirklich Probleme habe oder mer- ke, dass etwas nicht richtig ist, dann habe ich hier mit unserem Physio Tobias Rutzinger jemanden, der mir direkt helfen kann. In der Vergangenheit habe ich Probleme schon auch mal mitgezo- gen und trotzdem gespielt. Es gab auch hier Wochen, in denen ich mal einzelne Tage nicht trainieren konnte. Diese Tage sind aber seltener als früher. Das liegt meiner Überzeugung nach auch daran, dass ich jeden Tag nach dem Training etwas ma- che und individuell arbeite. Zusammen mit Scotty habe ich ein Programm ausgearbeitet, das wir immer gewissenhaft durchzie- hen. Das macht es auch einfacher, wenn man einen Trainings- partner hat, mit dem man sich gegenseitig pushen kann. Hast du früher keinen Wert auf die Trainingsnachbereitung gelegt? Doch, in der Hinsicht war ich immer fleißig. Aber die Bedin- gungen sind hier schon nochmal besser. Was sich schon ver- ändert hat: Ich habe früher nie einen Tag frei gemacht. Wenn wir frei hatten, habe ich weiter trainiert. Dadurch wirst du auf Dauer verletzungsanfälliger. Auch mal einen Tag Pause zu machen, ist wichtig für den Körper. Weißt du es nach all den Verletzungen noch mehr zu schät- zen, wenn du fit auf dem Platz stehen kannst? Foto: Köglmeier „Bei meiner Kranken- akte bin ich mir schon auch darüber bewusst, dass ich kurz davor war Sportinvalide zu sein.“ 16JAHNZEITAUSGABE OKTOBER 2022Auf jeden Fall. Besonders, wenn man vor voller Kulisse spielen darf. Wenn ich an das Pokalspiel gegen Köln denke oder Auswärtsspiele in großen Stadien wie in Hamburg. Da weißt du, wofür du so viel auf dich genommen hast und dass du dir das alles erkämpft hast. Bei meiner Krankenakte bin ich mir schon auch darüber bewusst, dass ich kurz da- vor war Sportinvalide zu sein und jedes Spiel für mich fast das letzte sein könnte, wenn es nochmal rich- tig knallt. Umso dankbarer bin ich für jedes Spiel, das ich gesund bin. Steve Breitkreuz ist ein Fußballer, der sich mit dem Verein identifiziert, für den er spielt. Das war natürlich beim Heimatclub Hertha BSC so. Aber auch in Aue, wo er ein sehr gutes Verhältnis zu den Fans hatte. Diese haben bei- spielsweise seinen Zwillingsbruder Patrick einmal sehr herzlich empfan- gen, als dieser für ein Probetraining ebenfalls in Aue war. Und auch in Re- gensburg ist es ihm schnell gelungen, Identifikation zum Club aufzubauen. Was bedeutet dir der Jahn schon nach der noch kurzen Zeit? Schon viel. Ich fühle mich wohl in der Stadt und im Verein. Ich bin niemand, der 20 Vereine haben will in seiner Karriere. Schon zur Schulzeit habe ich ungerne die Schule gewechselt und auch in der Jugend hatte ich nur zwei Vereine. Mir ist die Bindung zu einem Verein, die Identifikation mit einer Aufgabe wichtig. Deshalb bin ich niemand, der schnell seinen Verein wechselt. Bei mir muss es nicht unbedingt der größte Verein sein, es muss nicht alles prunkvoll sein und schön scheinen von außen. Mir kommt es auf andere Dinge an. Dieses Familiäre, dass jeder Gas gibt, dass man Ziele und Ambitionen hat, vielleicht ein Underdog ist und deshalb mehr leisten muss als andere, damit kann ich mich identifizieren. Durch die Verletzungen wurde ich auch meistens eher unterschätzt als überschätzt. Auch der Umgang miteinander ist mir wichtig. Wenn man ein bisschen älter ist, hört man zum Beispiel bei einer Mitgliederversamm- lung genauer hin, kann dadurch den Verein und die Gesich- ter besser kennenlernen. So etwas finde ich schon wichtig. Wenn du dich mit dem Verein identifizieren kannst, dann kannst du dich auch besser entfalten. Wichtig ist, dass man authentisch ist, das honorieren dann auch die Fans. Welche Ziele verfolgst du noch mit dem SSV Jahn? Die Entwicklung sollte sein, dass wir unser Spiel verbessern und uns an der Hinrunde des letzten Jahres orientieren. Man darf nicht unrealistisch werden, aber damit sich der Verein weiter gut entwickelt, wollen wir als Mannschaft auch mit guten Platzierungen unseren Teil dazu beitragen. Es ist hier vieles entstanden, man kann aber noch vieles weiter mit auf- bauen. Wenn du es über Jahre hinweg schaffst, dass du dir keine Sorgen um den Klassenerhalt machen musst, dass du die Leute begeisterst und das Stadion regelmäßig voll hast, dann wäre das ein erstrebenswertes Ziel. Siehst du den Kern der Mannschaft schon so gefestigt, dass das realistisch ist? Das ist schwierig zu sagen, weil wir viele neue Spieler haben und eine junge Mannschaft sind. Wenn du dich als Mann- schaft entwickeln willst, muss der Kern schon ein paar Jahre zusammenspielen. Wenn der Kern der aktuellen Mannschaft bleibt und gut ergänzt wird, dann glaube ich schon, dass wir in den nächsten Jahren diese Schritte gehen können. Fußball ist nicht alles. Was Steve Breitkreuz in seiner Ver- letzungszeit gelernt hat, lebt er heute vor. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Patrick Breitkreuz hat er eine Firma gegründet: Sport Benefits. Diese soll Fußballern aber auch an- deren Sportlern im Alltag helfen. Mit Tipps und verschiedenen Ansprechpartnern in allen möglichen Situationen, sei es im Sportlichen oder im Privaten. Wie seid Ihr auf die Idee für Sport Benefits gekommen? Die Idee ist aus eigenen Erfahrungen heraus entstanden, vor allem aus eigenen schlechten Erfahrungen. Wir haben uns viele Gedanken darüber gemacht und waren der Meinung, dass es nicht sein kann, wie mit Spielern umgegangen wird beziehungsweise wie sie oft fallen gelassen werden, wenn es einmal schlecht läuft. Der Fußball kann ein sehr ekliges Ge- schäft sein und sehr oft zählt der Mensch hinter dem Fußbal- ler nicht. Oft fehlt dann die Unterstützung von anderen Seiten. Auch für Berater geht es am Ende um das Business, sie wollen auch noch andere Spieler zu einem Verein bringen. Zu selten gibt es Außenstehende, die ausschließlich das Beste für dich wollen und nicht nur Geld an dir verdienen wollen. Darüber haben wir uns Gedanken gemacht und die Firma gegründet, die Spielern vor allem im privaten Bereich helfen soll, was zum Beispiel Ernährung, Fitness, Finanzen oder Versicherungen an- geht. Wenn ich nur daran denke, dass ausländische Spieler oft nicht darüber informiert sind, dass sie hier ein Krankentage- geld beziehungsweise eine Zusatzversicherung haben sollten, weil ihr Gehalt bei einer Verletzung nicht durchgezahlt wird, sieht man, dass es dafür einen großen Bedarf gibt. Es soll aber auch nicht zwanghaft sein. Bei uns können sich Sportler selbst informieren und belesen in Themen, die für sie relevant sind. Hättest du dieses Angebot als junger Spieler selbst brau- chen können? Definitiv. Wenn ich mich an diese Zeit zurückerinnere, dann hatte ich keine große Lust, mich um Sachen wie Steuererklä- rung oder Ähnliches zu kümmern. In der Schule lernt man das auch nicht. Deshalb macht so eine Plattform Sinn, auf welcher man Hilfe finden kann, wenn man möchte. 17JAHNZEITAUSGABE OKTOBER 2022Foto: Gatzka Wie gut klappt es, neben dem Job als Profifußball noch ein eigenes Business aufzubauen? Das ist schon schwierig, weil du nicht so viel Zeit hast, die du in das Projekt stecken kannst. Es geht Step by Step. Für uns ging es im ersten Schritt darum, dass wir viele Partner her- ausfiltern, die wirklich interessant sind und geprüft sind von uns. Wir wollen nur Partner empfehlen, die wir auch selbst nutzen würden. Nun geht es darum, dass wir das Netzwerk ausbauen und Sportler dazugewinnen. Welche Bereiche hätten dir als junger Spieler besonders weitergeholfen? Da gibt es eigentlich in jedem Bereich etwas. Sei es ein Umzugs- unternehmen, Steuerberatung oder Finanzen, wie man Geld am besten anlegt. Im sportlichen Bereich gibt es viele Punkte, die vielleicht in der Bundesliga oder bei Zweitligisten gegeben sind, aber in der 3. Liga, in der Regionalliga oder im Frauenfuß- ball nur sehr selten. Sportpsychologie ist ein riesiges Thema, wie man mit Rückschlägen umgeht. Dass man da nicht alleine durch muss wie ich früher, sondern dass es da heutzutage Hilfe gibt, die dir im Mindset helfen kann. Wie eng ist das Verhältnis zu deinem Zwillingsbruder? Bei Zwillingen ist das Verhältnis ja noch- mal enger als bei normalen Brüdern. Wir haben täglich Kontakt. Durch die Entfer- nung sehen wir uns nur noch zwei oder drei Mal im Jahr, denn mein Bruder wohnt in Potsdam und spielt in Berlin. Das Ver- hältnis ist so wie man es sich bei Zwillin- gen vorstellt. Das erleichtert die Abspra- chen. Unsere Visionen haben sich sehr gut ergänzt. Wir verfolgen das gleiche Ziel und haben die gleiche Motivation dahinter. Steve Breitkreuz ist Berliner. In der Hauptstadt geboren, ver- brachte er auch Kindheit und Jugend dort. Erst im Alter von 23 Jahren zog es ihn weg, als er des Fußballs wegen zum Drittligisten nach Aue wechselte. Wie sehr hat dich das Aufwachsen in Berlin geprägt? Jugendliche prägt das allgemein, weil das Umfeld über dich selbst entscheidet. Die Freunde und das Umfeld, das ich hatte, hatten wahrscheinlich nicht viele Fußballer. Ich weiß auch nicht, wo ich gelandet wäre, wenn ich nicht Fußballer gewesen wäre und oft gesagt hätte, dass ich wegen des Fußballs keine Zeit habe. Es war etwas Besonderes, dass man bei Hertha gespielt hat, dadurch hat man sich Respekt verschafft. Durch das Ballungsgebiet und die Vielfalt in Berlin kommst du schnell in Kontakt mit Leuten, die vielleicht nicht in deinem Umfeld sein sollten. Das war auch bei dir so? Ja. Trotzdem hast du dich dahin entwickelt, wo du heute stehst… Die Frage, die du dir stellen musst, ist: Wie sehr willst du es, wie sehr ist es dir wert, auf Sachen zu verzichten? Oft schaut man auf das, was jemand für den Erfolg macht, aber ganz oft sind auch die Sachen, die man nicht machen sollte. Es gibt viele Talente in Berlin, die vom Umfeld, von der Stadt geschluckt werden und nie Profis werden. Ich habe mit Fuß- ballern in der Jugend zusammengespielt, die waren wirklich wahnsinnig gut. Aber die spielen heute nicht mehr. Wie hast du es dennoch geschafft? Die beiden Kreuzbandrisse haben dazu geführt, dass ich mich hinterfragen musste, ob ich es will. Und da gab es nur zwei Möglichkeiten: ganz oder gar nicht. Ich habe mich aus allem ein bisschen rausgezogen und habe dann den Schritt nach Aue gemacht. Das war im ersten Moment ein Kulturschock. Aber das war es mir wert. Andere aus Berlin würden sagen: Was will ich in Aue? Aber mir war es das wert, weil ich un- bedingt 3. Liga spielen wollte. Auf was musstest du verzich- ten, um es als Fußballer so weit zu schaffen? Geburtstage, Feiertage, Tref- fen mit Freunden, Klassen- fahrten, Abifahrten – bei all dem konnte ich so gut wie nie dabei sein. Denn am Wochen- ende war ich nicht da, son- dern hatte ein Spiel. Wenn du 17, 18 Jahre bist, kannst du in Berlin jeden Tag feiern gehen. Dann musst du auch erst ein- mal Nein sagen, wenn du ein Umfeld voll von Abiturienten oder Studenten hast, die jeden Tag feiern gehen. Da musst du immer im Kopf haben, dass du Fußballer werden möchtest und alles andere unterordnen. Heute ist es leicht zu widerstehen, weil ich ein Profibin. Als Teenager ist es aber nicht so leicht. Was zeichnet dich heute noch aus, das dich in dieser Zeit geprägt hat? Das war schon die entscheidende Phase in meinem Leben. Da- mals habe ich das nicht geglaubt, weil mit dem Kreuzbandriss, wie bereits gesagt, eine Welt zusammengebrochen ist. Aber im Nachhinein war es gut für mich, weil ich mich von allem dis- tanziert habe, was mich von meinem Weg hätte abbringen kön- nen. Ich habe auch immer versucht, mir selbst zu helfen. Wenn ich verletzt war als Profi, habe ich mich selbst belesen. Wenn es nicht so rund lief, habe ich jeden Stein hochgehoben und geschaut, was ich verändern oder verbessern kann. Dieses In- teresse für ganz viele verschiedene Bereiche habe ich immer noch. Auch die Resilienz habe ich mir in der Zeit angeeignet. Ich bin schwer kaputtzukriegen, weil ich immer wieder aufstehe. fr Foto: Gatzka 18JAHNZEITAUSGABE OKTOBER 2022Next >