< Previous10" Ich liebe diesen Sport einfach" Joseph Andrew Enochs ist in Kalifornien geboren. Seine Begeisterung für den Fußball führte ihn in den 90er Jahren nach Deutschland. Mit Vereinstreue avancierte er beim VfL Osnabrück zum Rekordspieler und zur Vereinslegende. Ein besonderes Tor blieb dabei nachhaltig im Gedächtnis. Nach den Trainerstationen in Osnabrück und Zwickau ist Enochs nun in Regensburg beim SSV Jahn gelandet. 11Joe Enochs erscheint täglich als Erster am Trainingsgelän- de am Kaulbachweg. Vor der Arbeit versucht er sich selbst im Funktionsgebäude der Profis fit zu halten. Harte Arbeit und Leidenschaft haben ihm im Fußball, sowohl als Spieler als auch als Trainer, weit gebracht. Ein eher untypischer Karriere- weg für einen US-Amerikaner zur damaligen Zeit. Die Sport- begeisterung des 52-Jährigen spürt man in jedem Augenblick. Als Chef-Trainer des SSV Jahn Regensburg geht er nun in seine erste volle Saison. Die Jahnzeit stellt Euch Joe Enochs im Titel-Interview ausführlich vor. Joe, Fußball oder Soccer? Joe Enochs: Fußball. In den USA bin ich mit Soccer aufgewach- sen, aber als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich mich schnell angepasst (schmunzelt). Geboren und aufgewachsen bist Du in Pentaluma in den Vereinigten Staaten. Wie kommt man im sonnigen Kalifor- nien zum Fußball? Was hat deine Begeisterung ausgelöst? Es ist typisch, dort neben den anderen beliebten Sportarten auch mit dem Fußball anzufangen. Basketball und Baseball konnte man mit Fußball kombinieren und gleichzeitig spielen. American Football fing man dort erst später an. Damals hatte ich meine Eltern als Trainer und etwas später einen Peruaner, Andy Biselach, dessen Vorfahren aus Deutschland kamen. Sei- ne Kinder spielten mit uns und er war wirklich ein guter Trai- ner. Mein Bruder ist beispielsweise zur Highschool zum Ame- rican Football gewechselt. Ich bin dann einfach immer beim Fußball geblieben, auch weil wir damit sehr erfolgreich waren. Allgemein bist Du in einer sehr sportbegeisterten Familie aufgewachsen. Haben dich deine Eltern schon früh geprägt oder ermuntert Sport zu machen? Hast du dich auch in den typisch amerikanischen Sportarten versucht? Ich habe Baseball, Basketball und Tennis gespielt. Baseball nur bis ich 12 Jahre alt war, Basketball nur bis ich 15 Jahre alt war. Insgesamt waren wir aber schon immer eine sehr sport- liche Familie. Meine Schwestern haben Basketball, Tennis und Softball gespielt. Mein Bruder hat Baseball, Football und Basketball gespielt. Sport hat uns immer sehr gutgetan. Wir spielen beispielsweise ein großes Baseballmatch mit der gan- zen Familie, wenn ich zu Thanksgiving in den USA bin. Beim Fußball bin ich geblieben, weil ich mit meinen Mannschaften sehr erfolgreich war. In dieser Zeit habe ich meine Liebe zum Fußball entdeckt. Der genaue Zeitpunkt war in der 10. Klasse. Ein Team aus San Francisco hat eine Europa-Reise geplant. Ich habe mich dort gemeldet und ein Probetraining absolviert. Als ich die Zusage bekommen habe, sind wir dann einen Monat in Skandinavien unterwegs gewesen und haben insgesamt vier Turniere gespielt. Da war der Moment gekommen, dass ich immer weiterspielen wollte. In der U19 wurde ich Vize-Meis- ter in den USA, nach meinem Highschool-Abschluss waren wir für fünf Wochen in Brasilien zum Fußballspielen, auch an der Universität habe ich weitergespielt. Mein alter Trainer Mike Linenberger hatte auch schon einmal in Deutschland Fußball gespielt. Über ihn kam dann der Kontakt zustande. Damals gab es als Vorbild unter anderem Tom Dooley, der in der Bundes- liga erfolgreich war. Deutschland war damals schon ein Ziel, aber auch die Begeisterung und Erzählungen unseres Trainers spielten eine Rolle. Fußball wird in den USA, auch mit Hinblick auf die bevor- stehende Weltmeisterschaft 2026 gemeinsam mit den Ausrichtern Mexico und Kanada, immer populärer. Wie würdest du die Entwicklung des Soccers in deiner Heimat beschreiben? Kann in den USA eine Top-Liga bzw. fußball- verrückte Nation entstehen? Lionel Messi ist kürzlich in die USA gewechselt, David Beck- ham einige Zeit vor ihm. Diese Verpflichtungen geben dem Fußball dort einen Schub. Ich freue mich sehr, dass sehr viele Amerikaner nach Europa gekommen sind und hier den Weg " Dass man vom Fußball leben kann. Ich habe es mir immer erträumt." Joe Enochs (hintere Reihe, 5. von rechts) mit seinem College- Team, den San Francisco Seals (vormals United) in den späten 80er-Jahren. 12 JAHNZEITAUSGABE SEPTEMBER 2023gesucht haben. Nichts gegen die MLS, aber die alltäg- liche hohe Qualität in Europa tut den jungen Spielern gut. Die Kombination aus der sehr guten Ausbildung in den USA und den punktuellen Spielern in den europäischen Top-Ligen gefällt mir gut und ist eine gute Mischung. Was die US-Nationalmannschaft aber immer ausgezeichnet hat, war die Mentalität. Klar wer- den wir qualitativ besser, aber wir dürfen unsere gro- ße Stärke nicht vergessen. Und das ist Teamgeist und Charakterstärke. Am 7. Juni 2001 solltest du ein ganz besonderes Highlight erleben dürfen: Gegen Ecuador wurdest du in die Auswahl der US-Nationalmannschaft berufen. Kannst du dich an das Spiel noch erinnern? Was geht in einem Spieler vor, wenn erstmals die National- hymne erklingt? Wie hast du das Spiel erlebt? Das war unfassbar. Ich hatte etwas Glück gehabt. Earnie Stewart ist damals ausgefallen und konnte nicht mitgenom- men werden. Für ihn wurde ich eingeladen. Natürlich war ich schon 29 Jahre alt, habe aber neben vielen anderen, wie Steve Cherundolo oder Gregg Berhalter, in der 2. Bundesliga gespielt. Ich habe mich unheimlich gefreut auf die Partie. Wir waren eine Woche dort in Columbia, Ohio. Einen Tag vor dem Spiel hat der Trainer Bruce Arena mir Bescheid gegeben, dass ich spielen werde. Es war einfach überragend. Mein Bruder ist extra zum Spiel geflogen. Das war eines der besten Erleb- nisse, die ich jemals als Fußballer gehabt habe. Leider hat es für mich nicht für die Weltmeisterschaft gereicht, aber trotz- dem habe ich gesehen, dass ich da mithalten könnte. Ich war einfach unheimlich stolz. Bevor du Fußballprofi wurdest, hast du an der Sacramento State University Kriminalistik studiert. Wieso hast du dich für diesen Studiengang entschieden? War Fußball über- haupt Teil deines Karriereplans zu diesem Zeitpunkt? Wel- che Erkenntnisse aus deinem Studium helfen dir nun als Fußballlehrer weiter? Ich hatte immer vor Fußball zu spielen, nur gab es damals die MLS noch nicht. Die Vorstellung vom Profi-Dasein hatte ich damals noch nicht, weil es etwas Vergleichbares noch nicht gegeben hat. In den großen, wohlhabenden Städten wie Sa- cramento oder San Francisco konnte man sich vielleicht et- was dazuverdienen, aber es stand außer Frage, dass man vom Fußball leben kann. Ich habe es mir immer erträumt. Neben der Universität habe ich natürlich weiter Fußball gespielt. Jedoch war es mir und meiner Mutter extrem wichtig, dass ich ein Studium abschließe, weil man nie weiß, was passiert. Damals habe ich mich als Wirtschaftsstudent registriert. Als ich mit 17 Jahren dann auf die Sacramento State University gegangen bin, spezialisierte ich mich im Laufe des Studiums auf Kriminalistik, das dort sehr angesehen war, da dort viele ehemalige FBI-Agenten als Dozenten und Professoren lehr- ten. Im ersten Semester belegte ich den Kurs Introduction to Criminal Justice. Das hat mich so begeistert, dass ich den Stu- diengang gewechselt habe. Es war wirklich interessant, aber im Nachhinein bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich meine Welt gewesen wäre. Ich bin froh, dass ich Fußballer geworden bin (lacht). Mein Nebenfach Soziologie hilft mir bestimmt da- bei, mit Menschen umzugehen. Für mich steht an erster Stelle, neben dem taktischen und technischen Fokus, einen guten Umgang mit den Spielern und den Menschen zu pflegen. Kon- kret nehme ich aber mit aus dem Studium, in kniffligen und brenzlichen Situationen die Ruhe zu bewahren und sich auf das Wichtigste zu konzentrieren. Wenn wir ruhig und sachlich bleiben, treffen wir bessere Entscheidungen. Außerdem war Teamwork immer sehr wichtig. Ich versuche immer alle mitzu- nehmen. Philipp Tschauner, Andreas Patz und Philipp Paintner aus dem Trainerteam sind für mich wichtige Ansprechpartner und ich bin immer offen für ihre Ideen. Als Trainer bin ich auch ein absoluter Teamplayer. Bis 1994 hast du in den USA zum einen bei den Sacramen- to Hornets und den San Francisco Seals gespielt und deine fußballerische Ausbildung genossen. Mittlerweile kennst du aus deiner Zeit als Nachwuchsleiter und -trainer beim VfL Osnabrück beide Perspektiven: Wie unterscheidet sich die fußballerische Ausbildung in den USA und Deutschland voneinander? Ich bin nach Hoisdorf gekommen, die in einer der damaligen zehn Dritten-Ligen gespielt haben. Als ich angekommen bin, habe ich gemerkt, dass dort alle fußballerisch intelligenter waren als ich, weil sie eine ganz andere taktische Ausbildung als ich genossen haben. Ich habe gemerkt, dass ich physisch und mental aber extrem stark gewesen bin. Die 3. Liga war damals noch einen Schritt zu groß für mich. Aufgrund dessen habe ich mich dazu entschlossen zur zweiten Mannschaft des FC St. Pauli zu wechseln. Damals spielten sie in der 2. Bundesliga und St. Pauli II in der vierten Liga. Der Kontakt entstand über den damaligen Trainer. Der große Unter- schied zur Ausbildung in den USA war, dass alle Spieler dort technisch und taktisch hervorragend ausgebildet waren. In diesen Bereichen hatte ich noch Defizite, aber durch meine körperliche Stärke, durch meine Laufstärke und Geschwindigkeit hatten wir eine gute Mischung und sind dann in die 3. Liga aufgestiegen. Foto: Helmut K emme 13 JAHNZEITAUSGABE SEPTEMBER 2023Wie war es, bei einem solchen traditionsreichen Verein wie dem FC St. Pauli zu spielen? Die Fankultur unterschied sich wahrscheinlich deutlich? Wie würdest du deine Zeit dort zusammenfassen? Es war verrückt (lacht). Katholisch erzogen, aus einer Klein- stadt in Kalifornien, wo alle etwas prüde sind, nach Hamburg, St. Pauli auf die Reeperbahn zu kommen, das ist schwer zu beschreiben. Ich war unfassbar beeindruckt von dieser gro- ßen Stadt. Einen kleinen Jungen losgelassen in dieser Stadt, da musste ich öfter mal aufpassen, dass ich den Fokus nicht verliere. Ich habe mir immer wieder gesagt, dass ich hier bin, um Fußballprofi zu werden. Darauf habe ich mich konzent- riert. Junge Menschen können es sich kaum noch vorstellen. Es gab kein Internet und ich besaß ein Handy mit 15 Minuten zum Telefonieren. In den USA hatte ich eine Freundin, mit der ich zusammen war. Wir haben versucht Kontakt zu halten und uns Briefe geschrieben. Schließlich hat sie nach einiger Zeit Schluss gemacht. Klar hatte ich zu dieser Zeit auch mal Heimweh. Während des Studiums lebte ich eine Stunde von Zuhause entfernt. Das war nicht so dramatisch. Es gab Tage, an denen ich mir sagte, es wäre besser, wenn ich zuhause wäre. Hier machte ich jedoch jeden Tag das, was ich schon immer machen wollte – Fußball spielen. Ich sagte mir “Noch ein Jahr”. Aus dem einen Jahr sind schließlich über 30 ge- worden (schmunzelt). Nach einer Spielzeit in Hamburg ging es für dich 1996 zu dem Verein, wo du 12 Jahre später deine Profikarriere be- enden solltest, dem VfL Osnabrück. Hast du am Anfang ah- nen können, dass du so lange dort bleiben würdest? Wie bist du damals bei den Lila-Weißen angekommen? Das konnte ich nicht ahnen. Die Entscheidung, nach Osna- brück zu gehen, war keine leichte. Ich absolvierte zuvor ein Probetraining in Norwegen. Das lief super. Doch es war da- mals noch vor dem Bosman-Urteil und es hätte damit Ablö- se gekostet, obwohl man keinen Vertrag mehr besaß. Diese Ablösesumme war für das Ausland, für Norwegen zu hoch und deswegen haben sie sich dagegen entschieden. Ich war kein Bundesligaspieler und es spielten für die damali- ge Erstliga-Mannschaft des FC St. Pauli schlichtweg besse- re Spieler als ich es zu dieser Zeit war. Deswegen war der Schritt nach Osnabrück genau das Richtige, es war etwas Neues. Ich bin dann in eine Stadt gekommen, die absolut fußballverrückt ist, zu einem Verein voller Tradition. Dort habe ich mich sofort wohlgefühlt. Wir waren eine komplett neue Mannschaft und mussten uns erst einmal finden. Mir hat es geholfen, dass ich mental sehr stabil war. Zudem habe ich meine Frau in den ersten Monaten kennengelernt " Ich kann mich immer noch an das Gefühl erinnern, wie ich von der Mittellinie zum Elfmeterpunkt gegangen bin." Foto: Nickl Foto: Helmut Kemme Foto: Helmut Kemme 14 JAHNZEITAUSGABE SEPTEMBER 2023und somit auch ein klein wenig Heimat gefunden. Ich bin insgesamt super aufgenommen worden. Die Menschen ha- ben meine Art, Fußball zu spielen, gut gefunden. Sie waren begeistert davon, wie ich einfach Gas gegeben habe. Ich wollte mich unbedingt durchsetzen. Das ist in Osnabrück sehr gut angenommen worden. Ich bin sehr dankbar für all die Trainer, die ich in meiner Karriere hatte und die mich alle auch spielerisch besser machen wollten. Pele Wollitz, Jürgen Gelsdorf, Hans-Werner Morss, Herbert Mühlenberg, Gerd-Volker Schock. Das waren alles Persönlichkeiten, die mich geprägt haben. Ich habe versucht, von allen etwas mit- zunehmen. Wenn man das annimmt und an sich arbeitet, verbessert man sich definitiv. Gerade im taktischen und technischen Bereich habe ich viel gelernt, aber meine gro- ße Stärke blieb meine Physis. Diesen Ansatz verfolge ich nun auch. Ich werde die Spieler nicht grundsätzlich ändern können, aber ich versuche die Stärken einzubringen und mit ihnen punktuell an ihren Defiziten zu arbeiten. Jeder Spieler bringt ein anderes Profil mit und hat andere Stärken und Schwächen. Das ist auch gut so. Du bist mittlerweile seit über 30 Jahren in Deutschland, hast in Osnabrück deine Frau kennengelernt. Würdest du sagen, Deutschland ist deine Heimat? Wie viel Amerikaner steckt mittlerweile noch in dir? Ich fühle mich noch sehr als Amerikaner und besitze den Pass der USA. Wirklich Heimat ist für mich dort, wo meine Fa- milie ist. Wenn ich in Kalifornien bei meiner Familie bin, füh- le ich mich dort zuhause. Aber auch in Deutschland fühle ich mich sehr wohl und wir haben uns frühzeitig entschieden, hier zu bleiben. Ich bin offen für alles, aber Deutschland hat mir sehr viel gegeben und ich bin dankbar, dass ich hier sein darf. Auch hier in Regensburg verfolge ich aus großer Lei- denschaft und Sportbegeisterung Baseball, Basketball und Football. Auch andere Traditionen wie Thanksgiving oder Halloween feiere ich mit meiner Familie hier in Deutschland. Aufgrund der vergangenen Weltmeisterschaft 2022 in Katar konnte ich erstmals seit 30 Jahren Thanksgiving in den USA bei meiner Familie feiern. Manche Traditionen will ich nicht loslassen und möchte ich auch hier in Deutschland beibe- halten. American Football und andere amerikanische Sportarten fassen auch in Deutschland immer mehr Fuß. Freut es dich, dass auch hier die Begeisterung für diese weiter wächst? Leitest Du dir aus anderen Sportarten etwas ab? Natürlich schaue ich primär auf den Fußball, aber ich bin offen für alles und lerne aus den anderen Sportarten eini- ges. Wie verhalten sich die Trainer? Wie geht man mit den Spielern um? Was kann man aus Football beispielsweise ab- leiten? Tiefe Läufe, Wege auch umsonst zu machen, Winkel zum Spiel und zum Ball. Das sind alles Aspekte, die ich für " Wirklich Heimat ist für mich dort, wo meine Familie ist." meinen Trainer-Job mitnehmen kann. Ich bin von Grund auf einfach sportbegeistert und kann allen Sportarten etwas abgewinnen. Besonders gefallen hat mir das Spiel von Tom Brady vergangenes Jahr in München. Das war eine super Geschichte. Die NFL ist hier immer mehr am Kommen. Das sieht man auch daran, was Deutschland dafür macht. Lei- der habe ich keine Karten bekommen (lacht). Foto: Helmut K emme Joe Enochs mit Ehefrau Gunilla und den beiden Töchtern Emily und Sophie. 15 JAHNZEITAUSGABE SEPTEMBER 2023In deiner dritten Spielzeit beim VfL Osnabrück seid ihr in der Aufstiegsrelegation 1998/99 knapp gescheitert, konn- tet aber eine Saison später 1999/2000 die damals dritt- klassige Regionalliga Nord Richtung 2. Bundesliga verlas- sen. Kannst du dich noch an die Aufstiege erinnern? Was ist dir besonders im Gedächtnis geblieben? Hundertprozentig. Die erste Aufstiegsrelegation gegen den Chemnitzer FC haben wir 1999 verloren. Damals gab es noch die Möglichkeit in einer zweiten Runde, sich den Aufstieg zu sichern. Das ist uns nicht gelungen. Im Jahr darauf spielten wir gegen Union Berlin. Nach der regulären Spielzeit stand es 1:1, auch die Verlängerung brachte keinen Sieger hervor und so ist es dann zum Elfmeterschießen gekommen. Insgesamt muss- ten zehn Schützen antreten. Ich war als sechster Schütze an der Reihe, war nervös und froh, dass der Torhüter in die andere Ecke gesprungen ist. Ich kann mich immer noch an das Gefühl erinnern, wie ich von der Mittellinie zum Elfmeterpunkt gegan- gen bin. Das war ein großer Druck, den ich verspürt habe. So etwas gibt man nicht gerne zu, weil man möglichst tough sein möchte, aber diese Angst und diese zittrigen Beine. Das war schon irre. Mein Schuss war nicht gerade scharf und platziert geschossen. Glück gehabt (lacht). Als zehnter Schütze hat un- ser Torhüter Uwe Brunn verwandelt, ist zurück ins Tor und hat den entscheidenden Elfmeter des gegnerischen Keepers ge- halten. Dann war es vorbei. Ein schönes Erlebnis. In Osnabrück spricht man immer noch von diesem Spiel. Das Aufstiegsspiel ist ein besonderer Moment in der Geschichte des Vereins. Mit den Lila Weißen seid ihr öfter zwischen den Ligen ge- pendelt und ihr wart eher eine sogenannte Fahrstuhlmann- schaft. Was hat gefehlt, um Euch in der 2. Bundesliga fest- zusetzen? Was macht es für Aufsteiger schwer, sich in einer Liga höher zu etablieren? Ich glaube, das umfasst viele Aspekte. Es gibt eine große Konkurrenz von Traditionsvereinen aus großen Städten, wie dem HSV, Schalke 04 oder damals Borussia Mönchenglad- bach. Es ist schwer, mit einem kleineren Einzugsgebiet mit diesen Vereinen zu konkurrieren. Das ist auch in der 3. Liga so. Rot-Weiß Essen und Dynamo Dresden beispielswei- se haben eine enorme Wirtschaftsmacht. Deswegen ist es für Vereine wie den VfL Osnabrück oder Jahn Regensburg jedes Jahr ein Geschenk in der 2. Bundesliga spielen zu können. Natürlich gibt es immer wieder Ausnahmen und ambitionierte Vereine, die in den letzten Jahren gewach- sen sind. Aber sich gegen die großen Vereine langfristig durchzusetzen ist einfach verdammt schwer. Deswegen fin- de ich auch den Weg des SSV Jahn so spannend. Hier hat man definiert, ambitioniert sein zu wollen und so hoch wie möglich zu spielen, aber dennoch vernünftig zu wirtschaf- ten, um im Falle des Abstiegs wieder Fuß zu fassen und so in den nächsten Jahren wieder erfolgreich sein zu können. Wenn man es schafft, peu à peu den nächsten Schritt zu ge- hen, kann man es schaffen, aber es ist alles andere als selbst- verständlich. " Der Ball ging direkt in den Knick. So ein Tor habe ich noch nie geschossen – nicht einmal im Training." " In Osnabrück spricht man immer noch von diesem Spiel." Foto: Helmut Kemme Joe Enochs (2. von links) feiert mit seinen Osnabrücker Teamkollegen. JAHNZEITAUSGABE SEPTEMBER 2023 16Deine aktive Karriere hast du nach dem gesicherten Klas- senerhalt in der 2. Bundesliga 2008 beendet. Beim VfL bist du zur großen Identifikationsfigur avanciert und bist mit 376 Pflichtspieleinsätzen als Rekordspieler in den nur kurzzeitigen fußballerischen Ruhestand gegangen. Wie fühlt es sich für dich an, dort als Vereinslegende zu gelten? Die Erinnerungen sind mir bei der Verabschiedung von Wastl Nachreiner hochgekommen. Er hat hier ein ähnliches An- sehen wie ich in Osnabrück. Das Banner, das die Jahnfans zu seinem letzten Spiel hochgehalten haben: "Eine Legen- de wird man nicht durch Tore, sondern durch Treue” trifft es auch bei mir in Osnabrück ganz gut. Jedesmal wenn ich durch die Straßen laufe und angesprochen werde, merke ich, was ich geleistet habe, dass Loyalität wertgeschätzt wird und dass man in diesem Fußballgeschäft nicht mehrmals wechseln muss, sondern auch treu sein kann. Das nehme ich immer sehr gerne mit und bleibe so, wie ich bin. Die Ver- einstreue muss ein Stück weit auch wieder zurückkommen. Dieses ständige Wechseln tut keinem gut. Wir reden immer von Identifikation, aber wie will man sich mit etwas identifi- zieren, wenn es keine langfristigen Personen im Verein gibt? Ich bin seit 30 Jahren in Deutschland, war erst bei vier Ver- einen und habe nichts dagegen, lange hier beim SSV Jahn Regensburg zu bleiben. Das, was ich bisher in Regensburg bei den drei Heimspielen erlebt habe, ist unglaublich und zeigt auch wieder, was die Vereinstreue der Fans auslösen kann. Die Art und Weise ist für die Zuschauer hier sehr wich- tig. Das werde ich meiner Mannschaft vermitteln. Natürlich werde ich aber auch an meinen Ergebnissen gemessen und das ist auch gut so. Neben deinem Status in Osnabrück wirst du zudem oft auf ein besonderes Tor angesprochen. Am 21. September 2004 im Spiel der 2. Runde des DFB-Pokals gegen den FC Bay- ern München hast du in der 19. Minute zum 1:1-Ausgleich einen Distanzhammer ausgepackt und so Oliver Kahn überwunden – Tor des Monats. Wie hast du diesen Treffer in Erinnerung? Es war ein langer Ein- wurf. Bayerns Ver- teidiger Lucio hat den Ball per Kopf zu mir geklärt. Ich habe einfach draufgehal- ten. Der Ball ging direkt in den Knick. So ein Tor habe ich noch nie ge- schossen – nicht einmal im Training. Es ist ja nicht so, dass ich viele Tore geschossen habe (schmunzelt). Darauf werde ich noch oft angesprochen. Die Medaille zum Tor des Monats ist immer noch im Museum in Osnabrück. Es war ein besonderer Moment. Leider konnten wir das Spiel nicht für uns entschei- den, obwohl wir später 2:1 in Führung gegangen sind. Die Bay- ern kamen zum Ausgleich und kurz vor Schluss, in der letzten Minute, verlängerte Claudio Pizarro auf Roy Makaay, der dann zum Siegtreffer einnetzte. Nach deiner aktiven Karriere hattest du aber noch lange nicht genug vom Fußball, hast dich zum Fußball-Lehrer ausbilden lassen und bist ins NLZ von Osnabrück gewech- selt. Was hat dich motiviert, weiter im Fußballgeschäft zu bleiben? Warum wolltest du Trainer werden? Hattest du ein Trainer-Vorbild, dem du nachgeeifert hast? Meine Familie war nicht nur schon immer sportbegeistert, sondern sie waren auch leidenschaftliche Trainer. Mein Bruder und meine Schwester trainieren immer noch Base- ballmannschaften. Meine Eltern sind immer wieder als Trai- ner eingesprungen. Meine Mutter ist definitiv ein Vorbild in vielen Aspekten. Ich hatte viele gute Trainer, nicht nur wenn wir erfolgreich waren, sondern vor allem menschlich hervorragend. Von allen habe ich etwas mitgenommen. Ich liebe diesen Sport einfach und bin dem VfL Osnabrück sehr dankbar, dass sie mir ermöglicht haben, dort mei- ne Lizenzen zu erwerben. Neben den theoretischen Lehrgängen konnte ich im Nachwuchsleistungszentrum mein Wissen direkt praktisch anwenden. Foto: Köglmeier Foto: Helmut Kemme 17 JAHNZEITAUSGABE SEPTEMBER 2023 " Ich liebe diesen Sport einfach."" Schlaflose Nächte. Schweißgebadet wach geworden. Das war schon grenzwertig – auch gesundheitlich." Mittlerweile bist du seit 15 Jahren im Trainergeschäft und man hört immer wieder heraus, dass dir die mensch- liche Komponente sehr wichtig ist. Wie würdest du deinen Coaching-Stil beschreiben? Es ist entscheidend, wie man mit den Menschen umgeht. Dieser respektvolle und menschliche Umgang mit den Spie- lern ist mir sehr wichtig. Manche Spieler sehen das vielleicht anders (lacht laut). Nein, Spaß beiseite, ich versuche aus mei- ner Erfahrung als Spieler viel mitzunehmen. Mein Job ist es auch Fehler aufzuzeigen und Spieler zu enttäuschen, die ich nicht aufstellen oder in den Kader berufen kann. Da ist mir die Art und Weise immer sehr wichtig. Ich glaube schon, dass es mein Coaching-Stil ist, den Menschen mitzunehmen und in den Vordergrund zu stellen. Ich bin sehr ehrgeizig und will möglichst alle Spiele gewinnen, dabei will ich darauf achten, dass ich es respektvoll vermittle. Zunächst hast du deine ersten Erfahrungen als Trainer bei der zweiten Mannschaft sammeln dürfen, dann kam 2015 die Chance auf, die Chef-Trainerposition zu übernehmen. Wusstest du, was auf dich zukommen wird? Was hat dich am Trainerposten so gereizt? War es eine leichte Entscheidung? Ich habe bereits zuvor einige Male bei der Profimannschaft mitgewirkt und Spiele begleitet, so wusste ich, was auf mich zukommen wird. Damals wurde Maik Walpurgis früh in der Saison freigestellt. Die Entscheidung, Cheftrainer zu werden, war keine leichte, weil ich wusste, dass ich dann irgendwann entlassen werde und damit den VfL Osnabrück verlassen müsste. So ist das Geschäft und es gibt nur wenige Ausnah- men. Das Bewusstsein dafür hatte ich erst bei der Unter- schrift. Trotzdem wollte ich es unbedingt tun und bereue es zu keinem Zeitpunkt. Als Chef-Trainer warst du bei insgesamt über 90 Spielen an der Seitenlinie. Wie würdest du deine Zeit dort zusammen- fassen? Was waren prägende Ereignisse? Im ersten Jahr haben wir zweimal gegen Preußen Müns- ter gewonnen (lacht). Das ist für den VfL Osnabrück ein bedeutendes Duell. In meinem ersten Jahr sind wir nach der Hinrunde auf dem 2. Platz gestanden und in der Rück- runde auf den fünften Platz abgerutscht. Das war mit Si- cherheit das lehrreichste Jahr. Aus dieser Rückserie habe ich vieles mitgenommen und eine wichtige Erfahrung ge- sammelt. 2017 haben wir uns für den DFB-Pokal qualifi- ziert und in der ersten Runde den damaligen Erstligisten HSV mit 3:1 besiegt. Das war ein besonderes Erlebnis. Doch aus den Phasen, in denen es nicht gut lief, konnte ich viel mehr lernen und mitnehmen für meine jetzige Herange- hensweise. Osnabrück ist ähnlich groß wie Regensburg, dadurch kannte ich nach meiner langen Zeit dort viele Leute. Es hat mich menschlich immer sehr mitgenommen, wenn der Erfolg ausblieb. Schlaflose Nächte. Schweiß- gebadet wach geworden. Das war schon grenzwertig – auch gesundheitlich. Ich hatte Beklemmungen durch die Stadt zu gehen. Meine Kinder wurden in der Schule dar- auf angesprochen. Die schlechteren Zeiten damals waren schon intensiv für mich, auch weil mir die Stadt so am Her- zen liegt. Ich stecke immer viel Energie in meine Arbeit und gehe auch immer gerne zur Arbeit, doch damals war das eher nicht mehr der Fall. Deswegen war es schließlich viel- leicht auch gut und wichtig, etwas Distanz zu gewinnen und meine nächste Station nicht in der Nähe, sondern weiter weg wahrzunehmen. Dieser Abstand hat die Liebe zur Stadt Osnabrück wieder neu entfacht. Jetzt gehe ich dort wieder gerne durch die Straßen. Ich habe viele Freundschaften in dieser Zeit geschlossen und viele tolle Menschen kennen- lernen dürfen. " Mein Coaching-Stil ist, den Menschen mitzunehmen und in den Vordergrund zu stellen." Foto: Köglmeier Foto: Janne 18 JAHNZEITAUSGABE SEPTEMBER 2023" Mir hat es gezeigt, dass das Kollektiv über allem steht." Im Osnabrücker Stadion an der Bremer Brücke wurde sogar eine Tribüne nach dir benannt. Die Joe-Enochs-Tribüne ist passenderweise eine Kinder-Tribüne. Als zweifacher Familienvater bist du auch ein absoluter Familienmensch und stolzer Vater, oder? Beide Kinder sind super und menschlich wirklich hervorragend. Sie gehen beide ihren eigenen Weg und das macht mich unheimlich stolz. Emily spielt sehr gut Basketball, ist in der 2. Liga aktiv und macht aktuell in Osnabrück ihren Master. Auch Sophie ist extrem sportbegeistert, kommt zu jedem Spiel von mir und studiert in München Psychologie. Sie freut sich immer sehr, Fußball zu gucken. Ich verbringe im- mer sehr gerne Zeit mit meinen Töchtern. Du hast dort auch eine Sportsbar gegründet – die Joe Enochs Sportsbar. Wie kam es dazu? Wie bist du auf die Idee gekommen? Bist du selbst hinter der Theke gestanden? Zur damaligen Zeit war das Trainergeschäft im Nachwuchs noch nicht so sicher und ich wollte neben dieser Tätigkeit mir ein zweites Standbein aufbauen. Gemeinsam mit einem besten Freund, der bereits eine Gaststätte leitete, wurden wir nach meinem Karriereende 2008 von einer Brauerei angesprochen, ob wir uns das vorstellen könnten. Selbst- ständig bedeutet dann auch wirklich selbst und ständig (schmunzelt). Wenn es mein Zeitplan damals zuließ, stand ich auch selbst hinter der Theke. Es war eine coole Zeit, ich stand voll dahinter und es hat mir immer Spaß gemacht mit den Menschen Sport zu schauen und zu diskutieren. Immer dienstags kam eine Basketball-Truppe vorbei und alle hätten selbst Trainer sein können (lacht). Es machte viel Spaß mit den Leuten zu sprechen. Meine erste Priorität war aber im- mer der VfL Osnabrück. Ich hatte die Sportsbar bis ich Chef- Trainer wurde und habe sie dann an meinen Partner überge- ben, weil für mich der Weg in den Profifußball schon immer oberste Priorität hatte. Im Anschluss hast du dich dem FSV Zwickau angeschlos- sen. Dort konntest du mit einem der kleinsten Etats der Liga insgesamt vier Mal die Klasse halten. Was verbindest du mit dem FSV Zwickau? Was hat Euch damals so stark ge- macht? Welche Prinzipien und Tugenden wolltest du von deiner Mannschaft sehen? Der damalige Sportdirektor Dave Wagner hat mich damals kontaktiert und wollte mich für die 3. Liga. Davor habe ich spekuliert, in die USA zu gehen. Daraus ist allerdings nichts geworden. Auf den FSV Zwickau konnte ich mich gut fokus- sieren, da sie einen Trainer für die neue Saison suchten. Ich hatte genug Zeit mit meiner Familie für Klarheit zu sorgen und den Schritt weg aus Osnabrück vorzubereiten. Ich war von der Aufgabe begeistert. Vieles war neu und ich konnte in einem Teil Deutschlands, in dem ich selten zuvor war, arbeiten. Der FSV Zwickau ist ein absoluter Malocher-Verein mit tollen Be- dingungen. Es war sehr lehrreich. Alle im Verein hatten meh- rere Aufgaben, die sie zu übernehmen hatten. Das schweißt zusammen. Ich durfte alles selbst machen, musste aber auch alles selbst machen (lacht). Manche Tage waren wirklich lange Tage. Das Team stand immer im Vordergrund. Die Mannschaft war der Superstar. Mir hat es gezeigt, dass das Kollektiv über allem steht. Wie es zu Ende gegangen ist, ist etwas schade. 19 JAHNZEITAUSGABE SEPTEMBER 2023Next >